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27 next floor 1 / 22 auch darum, es zu erreichen.» Wie das geschieht, ist hingegen individuell. Denn genauso, wie es den Menschen mit Beeinträchtigung nicht gibt, gibt es auch das Training für Menschen mit einer Beeinträchtigung nicht, auch wenn Standardtherapien wie Ergo-, Physio-, Hippo- und Hydrotherapie oder Logopädie zum Angebot gehören. Sehr oft ist darum Kreativität gefragt. Die Sozialpädagogin entwickelt für ihre Schülerinnen und Schüler denn auch laufend neue Strategien und tüftelt mit den Haustechnikern an Hilfsmitteln, die es nicht ab Stange gibt. So fertigten die kreativenHandwerker im«Josef» – so die gängige Bezeichnung für die St. Josef-Stiftung – für einen Jungen mit Muskeldystrophie einen magnetischen Stab an, der an seinem Rollstuhl befestigt ist, nicht zu stark, damit er ihnmit minimalemKraftaufwand wegnehmen kann, aber auch nicht zu schwach, damit er nicht von allein runterfällt. Mit diesem Stab kann der Junge nun die Liftknöpfe drücken. Solange es seine Muskelkraft zulässt. Bedürfnisse sind individuell Genau das ist die nächste Herausforderung: Die Bedürfnisse von Menschen mit einer Beeinträchtigung sind nicht nur ausgesprochen individuell, sie können sich auch ändern. Deshalb sei es beispielsweise auch so schwierig, «allgemeingültig barrierefrei» zu bauen, meint Andrea Galizia. Und hin und wieder komme es sogar vor, dass man unbewusst Barrieren einbaue. So geschehen im neuen Haus Fortuna vor wenigen Jahren. Um einen fensterlosen Verbindungsgang etwas aufzupeppen, wurde über Lautsprecher fröhliches Vogelgezwitscher eingespielt. Das irritierte einen Teil der Menschen mit Beeinträchtigung derart, dass sie die Orientierung völlig verloren. Unsichtbare Vögel im Keller kamen in ihrem AlltagsbewältigungsRepertoire nicht vor und stellten eine Barriere für sie dar. In einem anderen Haus musste eine Holzdecke eingezogen werden, weil der Schall für Menschen mit Hörgeräten unerträglich war. Auch das Umfeld spiele eine zentrale Rolle, ist Andrea Galizia überzeugt. Das heisst? «Meine Jugendlichen brauchen vor allem einen sicheren Rahmen und eine tragende Beziehung. Das äussert sich allerdings unterschiedlich. Während der eine auf Nähe angewiesen ist, um arbeitsfähig zu sein, braucht der andere Raum: Stehe ich beispielsweise im Türrahmen, versperre ich ihm optisch den Weg und behindere ihn in seiner Handlungsfähigkeit. Ichmuss also aus demWeg gehen, damit für ihn der Durchgang frei wird.» Solche Bedürfnisse müssen allerdings erst erkannt werden. Sensorium entwickeln Und hier liegt wohl die grösste Herausforderung: Wir müssen ein Sensorium dafür entwickeln, was für andere Menschen eine Behinderung darstellen könnte, auchwenn es selbst dann nie eine allgemeingültige Lösung gibt. «Du hast immer jemanden, für den es nicht passt», sagt Klaus Pistora. «Aber wenn wir das Augenmerk verstärkt auf die Schwächeren in unserer Gesellschaft richten, dann haben wir automatisch auch mehr Verständnis für ihre Probleme. Eine barrierefreie Architektur wird dann beispielsweise zur Selbstverständlichkeit.» Und was kann ich tun? Menschen mit einer Beeinträchtigung brauchen tendenziell weniger Hilfe, als Aussenstehende annehmen. Denn mit ihrem Handicap umzugehen und den Alltag zu bewältigen, sind sie sich gewöhnt. Sie haben das oft ihr ganzes Leben lang trainiert. Dennoch gibt es ein paar Faustregeln. Verhalten Sie sich natürlich. Begegnen Sie Menschen mit einer Beeinträchtigung so selbstverständlich wie allen anderen. Sie wollen weder Mitleid noch übertriebene Freundlichkeit. Dass sie unter Umständen auffallen, ist Menschen mit einer Behinderung bewusst. Schämen Sie sich also nicht, wenn Sie etwas länger hingeguckt haben. Warten Sie einen Moment. Bieten Sie nicht gleich Hilfe an. Zu schnelles Handeln lässt Betroffene als hilflos erscheinen, was sie selten sind. Ausserdem sind es Menschen mit einer Beeinträchtigung gewohnt, sich Hilfe zu holen. Fragen Sie zuerst. Einen blinden Menschen ungefragt am Arm zu nehmen und über die Strasse zu führen oder sich einfach an einem Rollstuhl zu schaffen zu machen, geht nicht. Fragen Sie, ob die Person Hilfe möchte und verstehen Sie ein Nein nicht als Unhöflichkeit. Seien Sie tolerant. Unsere Gesellschaft ist vielfältig und Andersartigkeit ist ein Teil davon. Es sollte deshalb eine Selbstverständlichkeit sein, Verständnis für das Verhalten von Menschen mit einer Beeinträchtigung zu haben. Es ist normal, dass Menschen aus der Norm fallen. c Ein kurzer Einblick in den Alltag der St. Josef-Stiftung.

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